Kochschule und Beauty Farm
Im Interview mit der Handelszeitung vom 8. November 2018 entwerfen Mister E-Commerce und Mister Shoppingcenter das Einkaufszentrum der Zukunft.

INTERVIEW: ANDREAS GÜNTERT / Handelszeitung
Mister Shoppingcenter trifft Mister E-Commerce im Einkaufszentrum Sihlcity Zürich. Sind sich die Herren schon einmal im analogen Raum begegnet?
Marcel Stoffel: An einem Tisch sassen wir noch nie zusammen. Aber ich war schon mal an der jährlichen E-Commerce-Konferenz von Thomas Lang.
Thomas Lang: Und ich hielt einmal Gegenrecht am Shoppingcenter-Gipfel von Marcel. Wir können doch du sagen, oder?
Stoffel: Geht in Ordnung.
Wann war E-Commerce-Prophet Lang letztes Mal in einem Shoppingcenter?
Lang: Letzten Samstag im Einkaufszentrum Glatt in Wallisellen. Dort fand ich um 17 Uhr problemlos einen Parkplatz, was früher nicht so einfach ging.
Was haben Sie eingekauft?
Lang: Eine Schachtel Luxemburgerli. Und ich liess mir bei Mister Minit einen Schlüssel nachmachen. Das funktioniert leider noch nicht online.
Wie war das Look and Feel im Center?
Lang: Es ist ein Tick von mir, an solchen Orten Einkaufstaschen zu zählen. Was ich an diesem Samstag sah, ist fatal für Detailhändler: Die Mall war brechend voll. Aber die Leute trugen kaum volle Einkaufstaschen mit sich.
Ein schlimmes Zeichen?
Stoffel: Das ist es nur, wenn ein Händler rein stationär aufgestellt ist. Wer aber ein
gutes ergänzendes Online-Angebot hat, wird den Umsatz allenfalls über den Webshop machen.
Wann kaufte Mister Shoppingcenter letztmals online ein?
Stoffel: Gestern. Ersatztoner für meinen Drucker.
Das könnte man sich doch prima im nächsten Interdiscount-Laden besorgen.
Stoffel: Ich weiss gar nicht, ob es das dort noch gibt. Weil ich Toner seit jeher online bestelle. Es ist auf diese Art nun mal am bequemsten: Meine Bestellung vom letzten Mal ist im System immer noch vorhanden, ich aktualisiere sie einfach, drücke «Enter» – und am nächsten Tag kommt der Toner zu mir nach Hause.
Die Umsätze sinken in den meisten Konsumtempeln. Warum eigentlich?
Stoffel: Es sind verschiedene Faktoren, die den Shoppingcentern zusetzen. Etwa ein neues Mindset jüngerer Konsumenten, die ihr Geld lieber für Erlebnisse statt für Dinge ausgeben. Natürlich haben das Internet und der Schweizer Preiszerfall den Einkaufszentren zugesetzt. Kommt hinzu, dass die meisten Shoppingcenter in der Schweiz modelastig sind. Fashion-Anbieter waren in der Vergangenheit diejenigen, die die höchsten Mieten zahlen konnten. Nun werden sie von der allgemeinen Entwicklung – Online-Push, Preiszerfall, Übersättigung – am stärksten getroffen.
Wie optimistisch sind Sie für die 197 Shoppingcenter in der Schweiz?
Lang: Für einen guten Drittel bin ich optimistisch. Aber mehr als die Hälfte aller Schweizer Einkaufszentren hat eine extrem schwere Zukunft. Weil es diese Shoppingcenter schlicht nicht mehr brauchen wird.
Stoffel: Wir müssen wohl davon ausgehen, dass in den Schweizer Einkaufszentren in den nächsten fünf Jahren etwa ein Viertel aller Ladenflächen verloren geht. Man muss die frei werdenden Flächen einfach neu und anders nutzen. Wenn das aber geschieht, müssen wir uns auch fragen, ob «Shoppingcenter» noch der richtige Begriff ist.
Was wäre ein besserer Name?
Stoffel: «Marktplatz» würde es besser treffen.
Lösen Sie aus diesem Grund den Swiss Council of Shopping Centers (SCSC) auf?
Stoffel: Wir lösen ihn ab. Im Wissen darum, dass das Internet eigentlich das grösste Shoppingcenter ist, treten wir als Swiss Council Community auf, um die heutigen Einkaufszentren in die Zukunft zu führen.
Lang: Der Mensch ist ein soziales Wesen, er wünscht sich Treffpunkte. Zu vermuten ist einfach, dass an diesen Orten die Themen Begegnung und Shopping-Transaktion entkoppelt werden. Die Kundschaft will sich gewisse Dinge zwar anschauen, aber eingekauft wird online.
Wie sollen die Center-Besitzer ohne Umsätze zu ihren Mieteinnahmen kommen?
Stoffel: Wenn der klassische Detailhandel sinkende Erträge bringt, müssen Besitzer wohl auf Frequenzmieten setzen. Und sie müssen eine neue Maxime verfolgen, um relevant zu bleiben: Leerstand verhindern. Also neue Nutzungen einführen, die das Einkaufszentrum als Marktplatz stärken. Auch wenn damit zu rechnen ist, dass dies tiefere Einnahmen bringen wird.
Das Centro Ovale in Chiasso steht als erste Schweizer Dead Mall seit 2016 leer. Werden wir mehrere davon sehen?
Stoffel: Davon gehe ich aus. Ich denke, dass wir in den nächsten zwei bis drei Jah
ren ein Dutzend leer stehende Shoppingcenter sehen werden in der Schweiz.
Was könnte man denn anstellen mit diesen Konsumskeletten?
Lang: Ich regte spasseshalber mal an, dass man Gefängnisse daraus machen könnte. In vielen Centern ist das schon vorgespurt: Grosser Innenhof unten, Galerien oben. Mich erinnert das immer an die Justizvollzugsanstalt Pöschwies in Regensdorf.
Vom Shoppingcenter zum Jailhouse Rock – wie klingt das für Sie, Herr Stoffel?
Stoffel: Schockiert mich nicht. Immerhin ist es ja die Idee eines Einkaufszentrums, einen gewissen Schutz zur Aussenwelt zu bieten. Bei dieser Anregung wäre dann die Aussen- vor der Innenwelt geschützt.
Wie soll der Offline-Marktplatz der Zukunft denn aussehen?
Stoffel: Ein Ankermieter als Publikumsmagnet wie Migros oder Coop wäre gesetzt. Ferner ein paar gut geführte Fachgeschäfte, periodisch wechselnde Pop-up-Shops, Zahnarzt, Yogastudio, Fitness- und Wellness-Angebote. Dazu eine Kochschule, die gegen Mittag in Gang kommt, ergänzt durch einige Gastronomie-Angebote. Abgerundet wird der Mix mit einem grossen Coworking-Space und einer Beauty-Farm. In Grossstädten und an Standorten mit grossem Einzugsgebiet müssten solche Marktplätze auch sonntags offen sein.
Lang: Ich glaube an den stationären Handel, jedoch in neuer Form. Das Shoppingcenter der Zukunft sehe ich als stationäres Ökosystem aller online bestellten Waren. Dort werden mir die online bestellten Hosen angepasst und das Velo zusammengebaut. Die analoge Konfektion als «missing link» zwischen Digitalem und Analogem. Natürlich alles gegen Aufpreis. Zusätzlich würde in einem solchen Center die Logistik eine grosse Rolle spielen. In den wenigen Läden werden auf kleinen Flächen jeweils nur eine Handvoll Teile angeboten. Gefällt mir beispielsweise ein Veston, wird mir die passende Grösse aus einem Lager im gleichen Haus direkt in die Garderobe geschickt.
Stoffel: Klingt attraktiv, würde sich aber in einer solchen konzentrierten Form wohl weder für Besitzer noch Betreiber rechnen. Ich sehe das eher als Zugabe im von mir skizzierten Marktplatz.
Würden Sie einen Marktplatz aufsuchen, wie ihn Herr Stoffel beschrieben hat?
Lang: Ohne triftigen Grund: eher nein.
Stoffel: Das erstaunt mich nicht. Männer ticken mehrheitlich so. Doch in der Realität sind es die Frauen, die über den Besuch des Shoppingcenters entscheiden. Deshalb gehören auch viel mehr Frauen an die Spitze eines Marktplatzes. Da herrscht immer noch ein riesiges Manko. Aber das wird sich ändern. Es muss sich ändern.
Lang: Das nächste grosse Ding kommt, wenn der Online-Handel in der Schweiz von heute 15 auf dereinst 30 Prozent ansteigt. Bereits heute haben wir gesehen, wie viele traditionelle Händler weggefegt worden sind. Niemand kann sich vorstellen, was bei 30 Prozent geschehen wird.
Stoffel: Egal, was passiert: Der Kunde wird der Gewinner sein. Sie oder er entscheidet sich für den Kanal mit dem höchsten Nutzen und Mehrwert.